Tag 1 auf dem Weg nach Lukla:
Wir erreichten nach 14 langen, entbehrungsreichen Tagen, endlich wieder den Ausgangspunkt unseres Abenteuers im Himalaya- Lukla. Fast schon sehnsüchtig erwartet, schließlich hatte dieser kleine Ort doch wenigstens eine Art Infrastruktur. Eine Hauptstraße mit ein paar Gästehäusern, ein paar Bäckereien und viel Yak Dung am Wegsrand und auf dem Weg an sich 🙂 . Unser Guide Dil hatte mir eine Dusche versprochen, meine langen Haare hatten eine Wäsche mehr als nötig. Wir mussten schon in Namche Bazaar, einen Tag vorher, auf großartige Hygiene verzichten, das Haus hatte einen Wasserrohrbruch und somit schaute ich auf 10 Tage ungeduscht und ungewaschene Haare zurück. Meine letzte heiße Dusche, vier Minuten, war in Dingboche. Das war noch vor dem Everest Base Camp, also noch auf dem Hinweg zum Basecamp gewesen. Das Alles bei körperlicher Anstrengung, naja….das Notwendigste hatten Feuchttücher in den letzten Tagen erledigt und uns war es egal gewesen, bissel Dreck hat noch Niemanden geschadet. Außerdem hält es ja auch warm und Wärme hatten wir bitter nötig. Minus 25 Grad waren es am Everest gewesen, der Windchill Faktor lag um Einiges darunter.
Seit Phakding, dem letzten Zwischenstop auf dem Weg nach Lukla, fachsimpelten wir über das beste Chicken Sizzler im Khumbu Tal. Dil, unser Guide, war der Ansicht, dass es dies nur in Lukla gibt und schloss mit Stephan eine Wette ab. Wenn Stephan es nicht schaffen würde, nach Sherpa Art, unsere beiden Rucksäcke durch Lukla zu tragen, würden wir ihn dafür zum Essen einladen. Gesagt getan, Stephan schulterte die rd. 30 Kilo zusätzlich zum Daypack und stolperte durch den Ort. Die Nepalesen staunten nicht schlecht, ne Langnase mit vollem Trekkinggepäck auf dem Rücken. Einige pfiffen, manche klatschten…wir waren eine kleine Sensation und hätten in dem Trubel fast die Tatsache verpasst, dass in Sichtweite eine Sita Air mit dröhnendem Propeller die 450 m kurze Start,- u. Landebahn hinunterkullerte und gen Kathmandu verschwand. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, seit Tagen hatte ich versucht, den bevorstehenden Start aus Lukla noch ein wenig zu verdrängen. So schön es im Khumbu ist, die An,- u. Abreise ist nichts für schwache Nerven. Unsere Tara Air vor 14 Tagen war an einigen Stellen mit DAK Tape repariert gewesen!
Um es kurz zu machen- es war das letzte abfliegende Objekt für eine lange Zeit und Stephan scheiterte auch mit den beiden Rucksäcken und die Lage in Form von Chicken Sizzler und Everest Bier wurde an jenem Abend von uns „geschmissen“.
Gegen 17:00 schlitterte noch eine Tara Air nach Lukla rein, ich konnte die Maschine direkt aus unserem Zimmerchen im Guesthouse sehen, das Fenster ging Richtung Landepiste.
Die gestrandete Maschine wurde mein Wetterbericht der nächsten Tage und Woche !
Unser Zimmer bestand aus zwei Betten mit nicht sauberen Bettdecken und Kissen- wohlweislich wird man von allen Trekkingagenturen darauf hingewiesen- Wasser ist knapp ….deshalb werden genau diese Sachen auch so gut wie nie gewaschen. Das Badezimmer hatte ein Klo ((immerhin ) und eine Dusche, solarbeheizt….nicht so gut. Ein Waschbecken fehlte, das Wasser war eiseeisekalt, der Sonnenschein war an jenem Nachmittag ausgebllieben. Wir trösteten uns am ersten Abend mit der Aussicht auf „morgen in Kathmandu“ und durchlebten einen feuchtfröhlichen Abend in Lukla.
Wir trafen andere Trekker und Bergsteiger unter Anderem ein paar Russen die uns von vielen Expiditionen erzählten, auch von Everestbesteigungen.
Der Abend verging schnell, gegen 23:00 prophezeite Dil „tomorrow fog, no fly“ Aha….das hieß also um 6:00 Uhr aufstehen, die Landebahn beobachten, auf Abruf sein und hoffen, hoffen, hoffen.
Tag 2 Warten:
Gesagt getan….kaum aus dem Bett raus, schüttelte unsere Wirtin den Kopf- nein, heute kann keine Maschine aus Kathmandu kommen. Überraschend war diese Ausage nicht, hatte ich doch die Tara Air aus meinem Bett kaum sehen können. Dennoch, wir gaben die Hoffnung nicht auf, stierten wie gebannt auf die Landebahn als ob man damit das Übel verscheuchen kann. Es blieb seltsam ruhig und gedämpft im Ort, der Nebel schluckte die Geräusche.
Noch waren wenig Touristen da, das sollte sich in den nächsten Tagen dramatisch ändern. Wir „überfielen“ die primitive Bank von Lukla und „kauften“ zunächst ein wenig Bargeld, was schon spannend genug war. Die „Bank“ bestand aus einem Schreibtisch und Stuhl. Aus der Schublade des alterrümlichen Tisches kam ein Formular. Auf diesem wurden unsere Paß und Kreditkarteninformationen notiert, dann gabs Geld.Anschließend besuchten wir das örtliche „Starbucks“ das mit dem Original aus den USA wenig zu tun hat. Allerdings eine gute Sache war das vorhandene wlan und damit die Möglichkeit mit den Lieben Daheim in Kontakt zu treten. Zeitnöte hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch keine, schließlich hatten wir neun lange Tage eingeplant um Kathmandu und Pokhara besuchen zu können. Mich plagte eine widerliche Erkältung und ich sehnte mich weiterhin nach einem sauberen Bett, eine Dusche und anständige Taschentücher. In Lukla konnte man diese zwar kaufen, sie waren aber so fadenscheinig, dass ich mich kaum traute hineinzuschnauben.
Die Kälte und Nässe bekämpften wir mit Rum….davon viel in den Tee und der Tag wurde ertragbar. Insgesamt war die Stimmung gut, wir fanden es ziemlich lustig in Lukla gestrandet zu sein, das gehört schließlich zu einer ordentlichen Trekkingtour im Khumbu Himal dazu! Nachmittags spielten wir Pool mit ein paar Trekkern aus den Staaten, die die ganze Angelegenheit nicht mehr amüsant fanden- der Rückflug in die USA war gefährdet- upps……was waren wir da komfortabel dran.
Tag 3, wir richten uns ein:
Keine guten Nachrichten, es war immer noch neblig und auch an diesem Tag konnte keine Maschine in Lukla starten oder landen. Wir hörten zum ersten Mal von der Möglichkeit mit einem Hubschrauber nach Kathmandu zu fliegen. Dafür hätten wir zunächst nach Sirke laufen müssen, ca. 2-3 Stunden entfernt. Der Preis lag zu diesem Zeitpunkt bei rd. 250 € und ein paar Wenige griffen zu. Aber mal ehrlich, wenn schon die eigene Hand vor Augen nicht zu sehen ist, wer will da schon in einen Heli ? Unser Leidensdruck war gering, im Geiste radierte ich einige Sightseeingwünsche einfach aus, dann eben kein Chitwan Nationalpark mehr- was soll es , ich komme eh wieder.
Wir schrieben sehr lustige Mails nach Hause….sie handelten von Kälte, Dreck…achja, wir hatten immer noch nicht geduscht und natürlich suchten wir das www nach Nachrichten ab. Hatte die Außenwelt schon von unserer Misere mitbekommen? Sie hatte nicht…..
Die Freunde und die Familie drückten uns die Daumen und wir drückten fleißig mit. Insgesamt waren wir tiefenentspannt, der Kampf um die Steckdosen im „Starbucks“ hatte noch nicht begonnen.
Tag 4, Schlüpfer zählen, Thermosflasche kaufen
Auch Tag Vier begann mit Nebel und dem morgendlichen Wühlen im Rucksack….zwischen den stinkenden Trekkingklamotten muss doch noch wenigstens saubere Unterwäsche sein ? Wir zählten die Schlüppis, drehten Dreckiges von links nach rechts und zogen am Ende dann doch wieder die müffelnden Schichten vom Vortag an. Auch die Schlafsäcke hatten mittlerweile einen eigentümlichen Geruch angenommen- ganz zu schweigen von den Socken oder dem Fleecezeug in dem ich seit nahezu drei Wochen schlief! Es musste heißes Wasser her…..also raus in den Nebel und hinein n den Yakdung…..ab in den Gemischtwarenladen auf dem Broadway ( so nannten wir mittlerweile den Prachtboulevard von Lukla) . Dort erstanden wir eine große 2 Liter Thermosflasche mit herrlich kitschigem Rosendruck in knallerot. Ein flehendes Gesicht wurde aufgesetzt und ein wenig Bettelei waren nötig. Dann hatten wir gegen hartes Bares wenigstens 2 Liter kochend heißes Wasser. Wir borgten uns noch gegen Gebühr eine zweite Thermosflasche und mischten unser eiskaltes Wasser mit dem heißen….am Ende waren 4 Köpfe gewaschen und drei Bärte rasiert. Ansonsten nischt Neues in Lukla….außer, es wurde merklich voller, die ersten Zelte wurden errichtet.
5 und 6 Tag “ Krieg ist schlimmer“
Der Leidensdruck wurden nun doch merklich größer oder um es mit den Worten eines Trekkers, den wir auf unserer Tour kennengelernt hatten, zu sagen „Krieg ist schlimmer“. Natürlich gibt es immer noch Schlimmeres aber so langsam und allmählich wollten wir nur noch weg. Um dem Lagerkoller zu entgehen, marschierten wir immer morgens in das Cafe´mit dem wlan…. dort war es auch kalt und klamm aber dann doch wenigstens die einzige Möglichkeit mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Spiegel online, der Stern und auch nepalesische Medien hatten sich nun unserer Misere angenommen. Die nepalesiche Regierung erwägte die Möglichkeit die Trekker mit Hubschraubern herauszuholen, desweiteren sollten die Kranken und Verletzten abtransportiert werden. Die Helipreise stiegen, es waren mittlerweile fast 600 $ …die Russen und die Amis zahlten.
Wir hatten noch Luft, an Tag 10 ging der Flug zurück nach Europa. Ich strich im Geiste auch meinen Wunsch Pokhara ab und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt. Leider gab Lukla nicht viel her, wir umrundeten den Flugplatz und sahen den Einheimischen im Nebel zu. Wir bedauerten die Leute, die nur noch in Zelten Unterschlupf gefunden hatten, unser karges Zimmerchen wurde mehr und mehr zum Zuhause.
Unsere Eltern nahmen erstmalig mit unserer Airline Kontakt auf, um eventuelle Umbuchungen abzuklären.
Essen wurde knapp, Geld gab es in der Bank nicht mehr. Der lokale Preis für ein Hühnerei stieg über Nacht von 1,50€ auf 2,50 € und zum Frühstück gab es nur noch Porridge. Unsere Wirtin fragte, warum wir nicht einfach nach Kathmandu laufen würden….es wäre einfach, nur 5 Tage, wenn man zügig läuft. Leider waren wir Beide verrotzt, es kam aus gesundheitlichen Gründen einfach nicht mehr in Frage. Leider waren der Yak Dung, das einzige Brennmaterial und der Nebel für unsere Atemwege auch nicht optimal.
Im Starbucks war es mittlerweile so voll, mehrere Dutzend Menschen drängelten sich um die vier Steckdosen um Handys und Ipads aufzuladen, die meisten Gästehäuser verfügten über keine Steckdosen auf den Zimmern. Die Angst, irgendwann nicht mehr die eigenen Belange über das www abklären zu können beherrschte unseren Tag. Einer behielt immer die Steckdosen im Blick, der Andere kümmerte sich um Taschentücher, Rum oder Toilettenpapier.
Tag 7 “ Ich bin kein Star, holt mich trotzdem bitte raus“
Die Nerven waren zum Reißen gespannt….mein eigenes, gesetztes Ultimatum „mit dem letzten sauberen Schlüppi am Leib kommen wir hier raus“ lief so langsam und allmählich ab. Ich zog die vorletzte Unterhose an, schlüpfte in die dreckigen Funktionsklamotten und zog die Mütze tiefer ins Gesicht….Pokerface bei 3500 Trekkern und 350 Einheimischen. Die Letzteren wollten nur noch das wir abhauen….das Geld nahmen sie natürlich gerne, die Versorgungslage nahm aber dramatische Ausmaße an, das Gleichgewicht in diesem so sensiblen Teil der Welt war aufs Extremste gestört. Die Pfade durch den Ort sahen wüst aus, überall saßen Menschen, der Müll und Dreck….es tat mir in der Seele weh.
Auch wir überlegten was zu tun sei- die Familie wartete auf Instruktionen, wir hatten noch 2,5 Tage bis zum Flieger nach Berlin. Ich kontaktierte meine Arbeit, Gott sei Dank waren dort alle entspannt, Jeder wollte nur, dass wir heil nach Hause kommen. Ich hörte später Geschichten, bei denen sich die Arbeitgeber als richtige A…. …entpuppten.
Unser Guide erklärte uns das Procedere wie verfahren wird, sollte sich der Himmel dann doch mal aufkären. Zunächst wird der normale Flugplan abgearbeitet, dann gehen die Rettungsflüge raus, in die weite Welt aka Kathmandu. Bedeutete also, dass Zuerst Diejenigen rauskamen, die am Kürzesten gewartet hatten, dann wir , die am Längsten in Lukla hockten und danach wurde nach Reihenfolge der Wartetage abgearbeitet….aha….
Tag 8 …raus, bloss raus hier
Der Morgen war anders……es dröhnte….es kam ein großer Militärhubschrauber ! Juchee…..die Sonne schien, rein in die Klamotten, raus aus dem Zimmer. Dil wartete auf uns und sagte “ between 12 and 1 pm you are gone “ OK, das klang nach einer Ansage. Bange beobachten wir den Flugplatz, die tief hängenden Wolken. Wir mussten unser Zimmer räumen….die bange Frage, was passiert wäre, wenn wieder Nebel aufgezogen wäre, stellten wir uns nicht. Gegen 10:30 liefen wir zum Flughafen. Dort herrschte Halligalli oder auch das blanke Chaos genannt. Hunderte von Menschen drängelten und schubsten, Jeder bangte um seinen Platz in den Minimaschinen.
Militär regelte das Notwendigste, Soldaten standen um die Maschinen. Uns wurden „Rescue Tickets“ ausgehändigt, Flug 2 nach dem regulären Flugplan.
Das heißt es warteten genau 18 Leute länger als wir…..beruhigend. Besorgt schauten wir in den Himmel, es wurde schwärzer zwischen den Wolken. Um uns herum prügelten sich die Touristen! Interessant zu beobachten, wie sich die Spezie Mensch verändert, wenn es doch mal nen bissel ans Eingemachte geht.
Unsere Klamotten wurden gewogen und Dil verschwand um die Gepäcktags zu holen. Plötzlich tauchte ein Bär von Kanadier auf und schmiss unsere Rucksäcke von der Waage um den Kram seiner Reisegruppe darauf zu legen. Panisch schmissen wir unsere Rucksäcke wieder zurück, schließlich waren wir quasi schon eingescheckt ! Dies geschah mehrmals und nach dem dritten Abwurf saß ich oben, auf unseren Rucksäcken, mitten auf der Waage und beobachtete die Szenerie um mich herum ! Peinlich trifft es nicht so ganz was ich sah….Fremdschämen schon eher ! Die Trekker benahmen sich zügellos, die Nepalesen sahen hilflos zu.
Unter Soldateneskorte betrat ich, zusammen mit Kumpel Stephan und 16 Italiener die kleine Twin Otter. Mit einer La Ola Welle von uns 18 im Flieger kullerte und purzelte die kleine Maschine die 450 m den Berg hinunter…..es war kein schöner Flug aber nach rd. 45 Minuten standen wir dreckig und sauglücklich wieder in Kathmandu.
36 Stunden später traten wir pünktlich und erhebliche Erfahrungen reicher unseren Rückflug nach Deutschland an.
Im Jahr 2014 konnte ich in einer Berliner Tageszeitung lesen, dass eine Straße nach Lukla in Planung ist. Die Nepalesen sind genervt von der immer wiederkehrenden Situation und die Rettungsflüge kosten viel Geld. Nach diesem Artikel beschloss ich die Tage von Lukla zu beschreiben- sie gehören wohl bald der Vergangenheit an….schade, denn für uns Industriemenschen auch eine echte Möglichkeit mal zu sich selbst zu kommen, das Wenige schätzen zu lernen und tiefer in das wirklich harte Leben der Nepalesen einzutauchen. Ich möchte die Tage nicht missen, sie werden für immer unvergesslich bleiben. Für die Nepalesen wird die Straße als Fortschritt verstanden, dennoch wird der Betonhighway wieder ein Stück vom Zauber des Everests nehmen….