Egal wem man fragt, Belgien hat Niemand so richtig im Reisefokus.
Sicherlich hat man schon mal gehört, dass Brügge ganz bezaubernd sein soll und natürlich mag man die belgische Schokolade. Wenn man sich aber auf gängige Klischees stürzt, hört man immer nur: Pralinen, Kirschbier, Brüsseler Spitze, beleuchtete Autobahnen und wenns ganz hoch kommt, wird der Diamantenhandel in Antwerpen noch Erwähnung finden.
Ich wurde schief angesehen, als ich im Freundeskreis verkündete, dass die diesjährige Kollegen/ Innen Reise auch „Metropole im Herbst“ genannt, nach Belgien gehen würde. Noch schiefer wurden die Blicke, als wir an unserem Plan auch nach den schrecklichen Terroranschlägen in Brüssel festhielten.
Schnell hatten wir uns für eine Art Roadtrip mit Zug entschieden. Vier Tage in Brüssel erschienen uns als zu lang, zu sehr inspirierten uns die Bilder aus dem Internet.
Unser erstes Ziel hieß Antwerpen:
Nach der Landung in Brüssel Zaventem stiegen wir in den IC nach Antwerpen und befanden uns rund 35 Minuten später mitten in der Diamanten Straße. Der Antwerpener Bahnhof, der im allgemeinen Sprachgebrauch Eisenbahnkathedrale genannt wird, liegt im Mittelpunkt des internationalen Diamantenhandels und in einer europäischen Hochburg der ultraorthodoxen Juden. Wir waren überrascht, welch lebendige Gemeinde sich in Antwerpen eingefunden hat, ich wähnte mich fast in Jerusalem.
Die „Eisenbahnkathedrale“
Die ultraorthodoxe Gemeinde von Antwerpen, mitten im Diamantenviertel
Wir besuchten die Haupteinkaufsstraße (Meir) mit den Patrizierhäusern und dem Weihnachtskitschparadies schlechthin.
Das Stadhuis sowie der Grote Markt begeisterten uns sehr, leider wurde gerade der Weltcup der BMX Fahrer vorbereitet und der Platz glich einem Sportstadion mit viel Werbung und Sponsoring. Wir verzogen uns ziemlich schnell in eine Seitenstraße und genossen das erste Bier und an einer der vielen Fritturbuden wurde der Hunger gestillt. Belgische Fritten sind schon ziemlich toll, fettig aber lecker.
Kathedrale von Antwerpen
Rathaus oder Stadhuis auf flämisch
Da wir schnell genug von VW, Adidas und Co hatten, liefen wir gen Fluß und hatten von dort einen guten Blick auf die Kathedrale und Altstadt
Unser nächstes Ziel hieß „Het Steen“, eine kleine Festungsanlage am Fluss und mit mitterlalterlichem Antlitz
Aussichten von oben sind immer eine tolle Sache und um auch von Antwerpen nen tollen Blick von oben zu bekommen, liefen wir zum MAS (museum at the sea) und genossen gen grandiosen Ausblick von oben. Fairerweise ist der Zugang auf die Aussichtsterrasse umsonst.
Als letztes großes Highlight waren wir kurz in der Chocolate Line und machten uns über die Schokoproduktion klug und bewunderten die Figuren und Tierchen aus Glücklichmachstoff.
Leider blieb uns das Rubenshaus verwehrt, da die Belgier eine exzellente Work-Life- Balance verfolgen und alle Museen bereits um 17:00 Uhr dicht sind. Diese so merkwürdigen Öffnungszeiten verfolgten uns die gesamten vier Tage und zauberten des Öfteren ein ungläubiges Lächeln bei uns ins Gesicht.
Leider schon geschlossen
Gestaunt haben wir auch über die relativ authentische Chinatown mit chinesischen Werbeanschlägen, Supermärkten, Restaurants und Arztpraxen die ebenfalls nur auf Mandarin Auskunft gaben.
Chinesisches Tor mit Eisenbahnkathedrale
Die Jugenstilstraße fanden wir trotz aller Bemühungen nicht und somit verzichteten wir auf Blümchen und Tiere sowie runde Formen an den Häuserfassaden.
Unseren Abend verbrachten wir dank eines Tipps unserer lieben Rezeptionistin in einer ganz untouristischen Gegend und aßen zwar teuer aber gut in einem der Restaurants, Stoofvlees oder auch Gulasch belgisch, mit Bier und Pommes.
Relativ früh hauten wir uns in unser bezauberndes Dreierzimmer des IBIS- Budgets.
Weiter geht’s nach Brügge:
„Brügge sehen und sterben“ der Filmtitel geisterte wohl uns Allen an diesem Tag mal kurz durch den Kopf und wir wollten uns selbst ein Bild davon machen, ob es erstrebenswert ist, nach einem Besuch in dieser zu 100% Unesco Weltkulturerbe City den Löffel abzugeben und die letzte Wohnung 1,80m tief zu beziehen?
Wir vergnügten uns morgens erstmal am Frühstücksbuffet und nahmen dann den Bummelzug nach Brügge. Die Fahrt dauerte gut und gerne zwei Stunden, der Zug hielt an jeder zweiten Butterblume. Dies gab uns aber ein wenig die Möglichkeit, Flandern zu bewundern und Vergleiche mit den Niederlanden anzustellen.
In Brügge angekommen, liefen wir durch einen Park zum Hotel. Auf dem Weg dorthin fiel uns bereits auf, wie gemütlich es in der Stadt zuging, es war Markttag, die Restaurants waren gut besucht, Moules Frites wurden überall angeboten
Nachdem wir nicht gerade freundlich in unserer 3 Sterne Absteige empfangen wurden ( gnädig durften wir unser Gepäck dort parken) machten wir uns auf den Weg zum Markt um dort ein Brüggener Rosinen- Nussbrötchen zu inhalieren, Leider war der Markt mau und ein Bäcker erst gar nicht vorhanden.
Freunde wurden Brügge und ich erst, als wir durch die Straßen schlenderten und uns tatsächlich in einer restaurierten Welt des Mittelalters befanden. Das Städtchen ist im letzten Weltkrieg verschont geblieben, durch die Versandung des Hafens wurde Antwerpen bedeutender und somit hat sich in Brügge die wunderschöne Altstadtarchitektur mit seinen Gassen, Kirchen und Plätzen erhalten.
Wir waren begeistert, schlenderten durch die perfekte Filmkulisse, besuchten natürlich den angesagten Fotostop auf der Bonifaciusbrücke als auch das älteste Krankenhaus Europas, das Sint Jansspital, welches bereits im 12.Jahrhundert gegründet wurde und ein Beispiel europäischer Armenhilfe war.
Sint Jansspital
Bonifaciusbrücke
Wir bewunderten das wunderschöne mittelalterliche Stadhuis, die vielen, vielen Pralinenlädchen und die übereifrigen Japaner und Kreuzfahrttouristen (Oostende ist nicht weit). Erstaunlich woher auf einmal die vielen Touristengruppen herkamen.
Wir gingen in den Hof des Belford und genossen die Atmosphäre auf dem Groote Markt
Belford
Minnewater mit seinen Schwänchen und den Begijnhof von Brügge (jede Stadt in Flandern und in NL hat so einen Hof, der von Amsterdam ist ganz hübsch) besuchten wir kurz vor dem Sonnenuntergang.
Eingang zum Begijnhof
Unser Plan, eine Grachtenfahrt im goldenen Licht der Blauen Stunde zu unternehmen, wäre beinahe an der Work-Life Balance unserer Gastgeber gescheitert, drei Bootsanleger mussten wir förmlich errennen, bis ein bärtiger Blaubär Erbarmen mit uns hatte. Die Fahrt dauerte rund 30 Minuten und war mit 8,– € als fair zu bezeichnen. Wir sahen noch Ecken von Brügge, die wir so nicht mehr hätten erlaufen können.
Ich konnte bereits zu diesem Zeitpunkt für mich festmachen: „ ich komme wieder“ …vermutlich auf dem Weg zum Mont Saint Michel
Der Wunsch nach Muscheln war bei uns Allen recht groß, die Auswahl an Restaurants auch- der Preis der Schalentiere war nicht nur groß sondern überwältigend teuer. Für 23,-€ bekamen wir ein mittelmäßiges Mahl mit pappigen Pommes in einer bezaubernden Stadt ….das Ambiente zahlt man eben mit.
Der 3 Sterne Übernachtungsschuppen hatte einige Minuspunkte zu bieten. Erstmal gab es keine Ersatzschlüssel d.h. der Nichtnachtschwärmer musste im Dunklen hocken, während die Foto,- u. Weininteressierten durch das nächtliche Brügge schlenderten. Vor dem Zimmer der Herren pöbelten ein paar Engländer die ganze Nacht, bei uns Mädels pöbelten die Marokkaner aus den drei Spätis und im anderen Mädchenzimmer grummelte die Lüftung. Wir bewunderten unsere 15qm zu Dritt und das zerbrochene Waschbecken im IBIS Ambiente….Drei Sterne Komfort sieht für mich anders aus…..von den 143 € will ich nicht mal reden!
Und noch ne Perle, Gent:
Gent….wer kann etwas zu Gent sagen….kaum Jemand! Sicherlich ist die Stadt den Meisten Kunstbegeisterten ein Begriff, da der „Altar von Gent“ der Gebrüder van Eyk in der St. Bavo Kathedrale steht ( vorher in der Gemäldegalerie in Berlin) und von der Kunstkompanie der US Army vor den Nazis gerettet wurde (siehe auch den Film „ the monuments men“ ) :
http://www.tagesspiegel.de/kultur/ausstellung-der-genter-altar-in-berlin-dramatische-geschichte-eines-einzigartigen-bildwerks/10655804.html
Hierbei handelt es sich um eins der „meistgeklauten Meisterwerke der Welt“ und so ist der Altar auch nach dem Krieg nicht mehr vollständig geblieben.
Leider konnten wir das Kunstwerk nicht bewundern, es wird gerade restauriert.
Somit blieb auch mir nur der Griff ins Internet und die recht gute Beschreibung des Altars in dem von der Rezeption ausgehändigten Minireiseführer zu Gent. Ein kleiner Hinweis, das oben gezeigte Bild ist nur ein Auszug aus dem Komplettwerk. Es sind wohl 18 Tafeln, wobei wie gesagt nicht alles noch vorhanden ist.
Die Stadt wurde uns gnadenlos von seiner schlechtesten Seite vorgestellt. Um überhaupt ins historische Viertel zu gelangen, mussten wir zunächst durch die Genter Reeperbahn, eine Straße die tagsüber einen eher deprimierenden Eindruck hinterließ. Wo Brügge lieblich und süß war, zeigte sich Gent rauh und spröde. Das Wetter schlug um, es regnete später auch recht kräftig und die Leichen vom vorherigen Abend trugen nicht dazu bei, dass wir sehr enthusiastisch an die Stadt herangingen.
Wir erklommen den Belford und machten uns einen zweiten Eindruck von oben…..aus der Luft sah es doch ganz passabel aus?
Der Belford
Auch die Kathedrale wirkte beeindruckend, die braucht quasi ihren Altar überhaupt nicht, um zu gefallen
Nach einem Genter Bonbon und dem damit verbundenen Zuckerschock war der erste Eindruck geheilt….Gent kann ja doch…wenn es denn will.
Leider zog es sich zunehmend zu und wir entschieden uns wieder mal für eine Bootstour. Die Grachten zeigten das nicht restaurierte Gesicht und machten deutlich, wie viel bereits in den Touri Hot Spots wie Antwerpen oder Brügge getan wurde.
Das Ambiente der Stadt machten nicht so sehr die schönen Patrizierhäuser oder die Grachten aus, es war eher das Studentenambiente, die Graffiti und die Burg Gravensteen, die mitten in der Stadt liegt.
Nach der Grachtentour und einer unfreiwilligen Regenpause suchten wir mit Inbrunst und falscher Peilung die Graffiti Lane und bewunderten die Werke der örtlichen Sprayer Szene
Leider ist ein Sonntag auch in einer Studentenstadt nicht der geeignetste Wochentag und die Belgier mit ihrer Work-Life Balance machten es uns ebenfalls nicht einfacher. So war alleine die Suche nach einem bezahlbaren Restaurant, die auch nach 18:00 Uhr vegetarische Gerichte oder Spaghetti verkaufen durften (wirklich wahr) Mangelware. Nach langer und zäher Suche (ein Restaurant verließen wir wieder, als uns die Bestellung von Spaghetti und Gerichten unter 20€ versagt wurde) gab es endlich gegen 21:00 Uhr etwas Warmes in den Magen.
Der Weg zurück zum Hotel erwies sich nicht als ganz so schrecklich, das Dreierzimmer war in dieser Nacht die Suite von uns sieben Reisenden.
Last but not Least, Brüssel:
Antwerpen, Brügge und Gent waren eindeutig flämisch, Brüssel zeigte sich französisch.
Gleich nach Ankunft (wir konnten die Koffer am Bahnhof lassen) bemerkten wir, dass nur noch französisch gesprochen wurde, die Straßen und Restaurantkarten aber auf Französisch und Niederländisch geschrieben waren.
Wir bestaunten den übergroßen Schlumpf am Bahnhof und so langsam dämmerte uns, dass die Smurfis wohl eine belgische Erfindung waren….Tim und Struppi übrigens auch, wie uns das Comic Museum später aufklärte. Und auch die süßen Marsipulamis sind in Wirklichkeit kleine Belgier.
Wir hatten Spaß mit den Freunden unserer Kindheit und suchten den gesamten Tag einen schönen Magneten, Schlüsselanhänger oder Ähnliches als Erinnerung. Die Eine war scharf auf Schlümpfe, ich bin traditionell eher scharf auf TinTin ( Tim ) und dem kleinen Struppi.
Der Groote Markt oder auch Grand Place von Brüssel steht unter Weltkulturerbe und ist sehr beeindruckend. Die Gildehäuser wurden sehr schön restauriert, das Stadhuis oder auch Hotel de ville ist ebenfalls sehr sehenswert.
Wir liefen weiter zu Manneke Pis (petit Julien) Jeanecke Pis und einem Hund namens Zinneke Pis….und damit hatten wir auch die „Drei Pisser von Brüssel“ kennengelernt!
Den Nachmittag vertrieben wir uns mit einigen Stadtspaziergängen aus dem Reiseführer. Neben der Kathedrale sahen wir noch ein paar schöne Wohnhäuser, den Begijnhof von Brüssel oder auch den alten Hafen, der zugeschüttet wurde.
Das einzige, was wir vom Atomium sahen 🙂
Mit einem Kirschbier ließen wir diese Kurzreise auslaufen und fuhren mehr als pünktlich nach Zaventem.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem gut und organisiert. Etwas zu Futtern oder zu Trinken bekamen wir nicht- der „late bird“ nach Berlin hebt nach den belgischen Vorstellungen von Feierabend ab und somit wird auch nicht mehr Rücksicht genommen auf durstige Reisende, die Work-Life Balance könnte sonst in Gefahr geraten!
Fazit zu Belgien: Ein kleines Land mit Wahnsinnspotential…..ich komme wieder, bestimmt !